28. April 2025
Episode 3:
Alpha-Mythos adé!
Echte Führung im Wolfsrudel.

Inhaltsangabe
In dieser Episode von „ART gehört“ besprechen Massimo und Petra die tatsächliche Führungsstruktur in wilden Wolfsrudeln und widerlegen den Mythos des dominanten „Alpha-Wolfs“. Basierend auf der Forschung von L. David Mech an einer habituierten Wolfsfamilie auf Ellesmere Island, wird erklärt, dass wilde Rudel typischerweise Familien sind, die von den Elterntieren (Zucht-Rüde und Zucht-Wölfin) geführt werden. Führung ist dabei weniger ein Kampf um Dominanz als vielmehr eine kooperative Arbeitsteilung: Der Rüde initiiert oft Jagd und Wanderungen, während die Wölfin sich primär um Welpen und den Schutz des Baus kümmert. Es gibt jedoch viel Überschneidung und Teamwork, wie Beispiele zur Nahrungsversorgung und Verteidigung zeigen.
Quellen & Verweise
Dieser Podcast beruht auf der Publikation Leadership in Wolf, Canis lupus, Packs des Autors L. David Mech aus dem Jahr 2000.
Transkript
Massimo: Herzlich willkommen ich bin Massimo und ihr hört eine weitere Folge von „art gehört“, dem Podcast von LebensArt mit Hunden, einem Projekt von LebensArt Mensch Tier Natur und ich freue mich, dass wir heute mit einem sehr hartnäckigen Mythos aufräumen werden!
Petra: Hallo! auch von meiner Seite! Ich bin Petra. Schön, dass ihr wieder dabei seid! Heute tauchen wir erneut in die Wildnis ein und schauen uns ein Thema an, das von vielen Mythen umrankt wird… Nämlich die Führung im Wolfsrudel!
Massimo: Genau, Petra. Wenn man an Wölfe denkt, kommt einem oft sofort das Bild des „Alpha-Wolfs“ in den Sinn – ein dominantes Tier, das sich seinen Platz an der Spitze erkämpft und das Rudel mit eiserner Faust regiert. Aber ist das wirklich so?
Petra: Das ist eine spannende Frage! Dieses Bild wurde oft durch Beobachtungen von Wölfen in Gefangenschaft geprägt, wo Tiere leben, die nicht unbedingt miteinander verwandt sind und unter unnatürlichen Bedingungen konkurrieren müssen. Aber wie sieht es bei wilden Wölfen aus, in ihrer natürlichen Umgebung?
Massimo: Um das herauszufinden, schauen wir uns heute eine faszinierende Studie von L. David Mech an, einem der weltweit führenden Wolfsforscher. Er hat über viele Sommer hinweg ein wildes Wolfsrudel auf Ellesmere Island in der kanadischen Arktis beobachtet. Das Besondere: Diese Wölfe waren an seine Anwesenheit gewöhnt, sodass er ihr Verhalten aus nächster Nähe studieren konnte, ohne sie gross zu stören.
Petra: Und was hat er herausgefunden? Gibt es diesen dominanten Alpha-Wolf?
Massimo: Mechs Beobachtungen zeichnen ein ganz anderes Bild. Er beschreibt Wolfsrudel primär als Familienverbände. Stell dir vor: Ein Elternpaar – also die Zucht-Wölfin und der Zucht-Rüde – und ihre Nachkommen aus verschiedenen Jahren. Führung in so einem Rudel ist weniger ein Kampf um Dominanz, sondern eher wie in einer menschlichen Familie: Die Eltern leiten die Aktivitäten der Gruppe.
Petra: Das klingt viel harmonischer als das ständige Ringen um Macht. Wie funktioniert diese „elterliche Führung“ denn genau? Teilen sich die Eltern die Aufgaben?
Massimo: Absolut. Mech spricht von einer Art Arbeitsteilung, bei der aber auch vieles gemeinsam gemacht wird. Der Zucht-Rüde, also der Vater, übernimmt oft die Initiative, wenn es um die Nahrungssuche und längere Wanderungen geht. Er führt das Rudel auf der Suche nach Beute an. Mech beobachtete zum Beispiel, dass der Rüde bei 29 Gelegenheiten, bei denen das Rudel vom Bau aufbrach, 22 Mal derjenige war, der voranging. Auch auf Wanderungen war meist der Rüde an der Spitze.
Petra: Und die Wölfin, die Mutter? Welche Rolle spielt sie?
Massimo: Die Zucht-Wölfin ist vor allem für die Welpenpflege und den Schutz des Baus zuständig. Sie verbringt gerade in den ersten Wochen sehr viel Zeit bei den Kleinen. Sie ist auch diejenige, die man am ehesten dabei beobachtet, wie sie Welpen trägt, wenn der Bau verlegt wird. Auch bei der Verteidigung des Reviers oder des Baus gegen Eindringlinge übernimmt sie oft eine führende Rolle.
Petra: Mech beschreibt da ja eine interessante Begebenheit mit einem Moschusochsen, oder?
Massimo: Ja, genau! Einmal näherte sich ein ausgewachsener Moschusochse dem Wolfsbau, in dem sich ein Welpe befand. Zuerst versuchten alle Wölfe aufgeregt, den Ochsen zu vertreiben, aber der stellte sich direkt vor den Eingang. Nach einer Stunde, in der nichts geschah, begann die Zucht-Wölfin zu bellen und führte das gesamte Rudel demonstrativ auf eine Seite, weg vom direkten Weg zum Bau. Sie bellte weiter, während die anderen ruhig warteten. Es schien, als wollte sie dem Ochsen einen sicheren Fluchtweg anbieten, weg vom Bau. Und tatsächlich: Nach 30 Minuten zog der Moschusochse ab, und der Welpe konnte wieder herauskommen. In dieser Situation hat klar die Wölfin die Führung übernommen, um die Gefahr zu deeskalieren und den Welpen zu schützen.
Petra: Faszinierend! Das zeigt ja, wie intelligent und überlegt Wölfe handeln können. Aber du sagtest, es gibt auch viel Überschneidung bei den Aufgaben?
Massimo: Richtig. Es ist keine strikte Trennung. Beide Elternteile jagen, beide verteidigen das Revier gegen fremde Wölfe, oft mit gleicher Intensität. Und der Vater spielt eine ganz wichtige Rolle bei der Versorgung der Familie. Wenn die Mutter bei den ganz jungen Welpen bleibt, ist er oft der Hauptversorger, der Nahrung zum Bau bringt. Er übergibt die Beute dann bereitwillig an die Wölfin oder würgt Futter für sie hervor. Später versorgt er auch die älteren Jungtiere mit. Mech beobachtete sogar, wie der Vater einen versteckten Teil einer Beute ausgrub und zur Mutter brachte, die es dann frass und sofort zum Bau zurückkehrte, um es für die Jährlinge hervorzuwürgen.
Petra: Es ist also ein echtes Teamwork, bei dem jeder seine Stärken einbringt, aber beide die Verantwortung tragen. Das hat ja kaum noch etwas mit dem Bild des einzelnen, dominanten „Alpha“ zu tun. Mech selbst hat ja später den Begriff „Alpha“ für Wolfseltern als unpassend und irreführend bezeichnet, weil er eben diese Dominanzkämpfe impliziert, die in natürlichen Familienrudeln so nicht stattfinden. Er bevorzugt die Begriffe „Zucht-Rüde“ und „Zucht-Wölfin“ oder einfach „Elterntiere“.
Massimo: Genau. Die Studie zeigt, dass soziale Dominanz zwar existiert – der Rüde steht sozial oft über der Wölfin – aber die Führung der Gruppe viel mehr auf Erfahrung, Kooperation und den Bedürfnissen der Familie basiert, insbesondere der Aufzucht der Welpen. Es geht um elterliche Fürsorge und Anleitung, nicht um Unterwerfung durch Gewalt.
Petra: Was bedeutet das denn für uns und unser Verständnis von Hunden? Viele Hundetrainingsansätze basieren ja immer noch auf dieser überholten Alpha-Theorie.
Massimo: Das ist ein wichtiger Punkt. Obwohl Hunde keine Wölfe sind und sich über Jahrtausende anders entwickelt haben, hilft uns das Wissen über das natürliche Verhalten von Wölfen enorm. Es zeigt uns, dass die Idee, wir müssten unsere Hunde „dominieren“ oder uns als „Alpha“ aufspielen, auf einem Missverständnis beruht. Statt auf Konfrontation und Unterwerfung zu setzen, sollten wir uns vielleicht eher an den Wolfseltern orientieren: klare Führung geben, Regeln aufstellen, Sicherheit bieten, aber eben auf Basis einer vertrauensvollen Beziehung und Kooperation, nicht durch Einschüchterung.
Petra: Also weg vom Dominanzdenken, hin zu einer partnerschaftlichen Führung, die auf Verständnis und gemeinsamer Aktivität basiert.
Massimo: Exakt. Die Forschung von L. David Mech und anderen zeigt uns ein komplexes, kooperatives Sozialsystem bei Wölfen. Der Mythos des brutalen Alpha-Wolfs, der sich an die Spitze kämpft, gehört bei natürlichen Familienrudeln ins Reich der Fabeln. Die Realität ist eine Partnerschaft der Elterntiere, die gemeinsam ihr Rudel – ihre Familie – führen und versorgen.
Petra: Ein wirklich spannender Einblick, der unser Bild vom Wolf und vielleicht auch von unseren Hunden zurechtrückt. Echte Führung basiert auf Erfahrung, Verantwortung und Zusammenarbeit.
Massimo: So ist es. Und damit sind wir auch schon am Ende unserer heutigen Folge von „art gehört“. Wir hoffen, ihr konntet etwas Neues über die faszinierende Welt der Wölfe lernen. Viel Dank fürs dabei sein liebe Petra – und auch an euch liebe Zuhörer!
Petra: Ja! Danke auch von mir! Wenn ihr mehr über unseren Verein „LebensArt Mensch Tier Natur“ und unser Projekt „LebensArt mit Hunden“ erfahren möchtet, schaut gerne auf unserer Webseite vorbei. Es werden noch viele weitere spannende Podcasts folgen. Vielen Dank fürs Zuhören!