Hunde und Wölfe: Geduld im Vergleich
04. Mai 2025
Episode 4:
Hunde und Wölfe:
Geduld im Vergleich

Inhaltsangabe
In dieser Folge von „art gehört“ tauchen Massimo und Petra tief in die Welt der tierischen Geduld ein. Basierend auf einer wissenschaftlichen Studie vom Wolf Science Center vergleichen sie die Selbstkontrolle von Hunden und Wölfen. Können Hunde wirklich länger auf eine bessere Belohnung warten als ihre wilden Verwandten? Die Ergebnisse eines spannenden Experiments sind überraschend eindeutig, doch die Frage nach dem „Warum“ ist komplex. Liegt es an der Domestikation, der Anwesenheit des Menschen, unterschiedlichen Strategien oder gar der Motivation? Hört rein und erfahrt mehr über die faszinierenden Unterschiede und Gemeinsamkeiten zwischen Hunden und Wölfen und was uns das über ihre Beziehung zum Menschen verrät.
Quellen & Verweise
Dieser Podcast beruht auf der Publikation Dogs wait longer for better rewards than wolves in a delay of gratification task: but why? von den Autorinnen Frederike Range, Desiree Brucks und Zsofia Viranyi aus dem Jahr 2020.
Transkript
Massimo: Herzlich willkommen zu „art gehört“, dem Podcast von LebensArt Mensch Tier Natur, Teil unseres Projekts „LebensArt mit Hunden“. Ich bin Massimo, und ich freue mich, dass ihr heute wieder dabei seid.
Petra: Ein herzliches Hallo auch von meiner Seite – Ich bin Petra – und freue mich schon auf das heutige Thema!
Massimo: Petra, heute haben wir ein superspannendes Thema, das viele Hundehalter sicher kennen: Geduld. Oder wissenschaftlicher ausgedrückt: Selbstkontrolle. Kennst du das, wenn dein Hund genau weiß, dass er warten soll, es ihm aber sichtlich schwerfällt?
Petra: Oh ja, das kenne ich gut! Vor allem, wenn es ums Futter geht. Da wird die Geduld schon mal auf eine harte Probe gestellt. Und genau darum geht es ja auch in der Studie, die wir uns heute anschauen wollen, oder? Eine Studie, die Hunde mit Wölfen vergleicht.
Massimo: Genau. Die Frage ist: Haben Hunde durch das Zusammenleben mit uns Menschen über Jahrtausende gelernt, geduldiger zu sein als ihre Vorfahren, die Wölfe? Oder anders gefragt: Wer hat mehr Selbstkontrolle – Hund oder Wolf? Forscherinnen wie Friederike Range und ihre Kollegen haben genau das untersucht.
Petra: Bevor wir uns die Studie im Detail ansehen, lass uns kurz klären, was Selbstkontrolle eigentlich bedeutet. Im Grunde ist es die Fähigkeit, eine sofortige Befriedigung oder einen Impuls zu unterdrücken, um später eine bessere Belohnung zu erhalten oder ein langfristiges Ziel zu erreichen. Bei uns Menschen ist das ja bekanntlich ziemlich wichtig – Studien zeigen, dass Menschen mit mehr Selbstkontrolle oft erfolgreicher und gesünder sind. Bei Schimpansen hat man sogar einen Zusammenhang mit der allgemeinen Intelligenz gefunden.
Massimo: Das klingt logisch. Und wie misst man das bei Tieren?
Petra: Oft mit einem sogenannten „Belohnungsaufschub“-Test, im Englischen „delay of gratification task“ genannt. Man kennt vielleicht das berühmte Marshmallow-Experiment mit Kindern. Hier bekommen die Tiere die Wahl: Entweder sie nehmen sofort eine kleine, nicht so tolle Belohnung, oder sie warten eine bestimmte Zeit und bekommen dann eine viel bessere Belohnung dafür. In dieser Studie war das ähnlich: Die Tiere konnten eine geringwertige Belohnung – Trockenfutter – sofort bekommen, oder sie mussten warten, um diese gegen eine hochwertige Belohnung – Wurst oder Fleisch – einzutauschen.
Massimo: Und die große Frage war nun: Wer hält länger durch? Es gibt ja verschiedene Theorien zur Domestikation, also zur Haustierwerdung des Hundes. Eine besagt, dass Hunde unter anderem darauf selektiert wurden, weniger ängstlich und aggressiv zu sein als Wölfe. Diese geringere emotionale Reaktivität könnte auch ihre Fähigkeit zur Impulskontrolle verbessert haben. Eine andere Theorie, die „Synergistische Hypothese“, geht sogar davon aus, dass Hunde gerade deshalb besser mit uns kommunizieren können, weil sie gelernt haben, ihre unmittelbaren Reaktionen zugunsten späterer Belohnungen zurückzustellen. Beide Theorien würden also vorhersagen: Hunde müssten in so einem Test besser abschneiden als Wölfe.
Petra: Schauen wir uns also das Experiment genauer an. Es fand am Wolf Science Center in Österreich statt, wo Wölfe und Hunde unter vergleichbaren Bedingungen aufwachsen und gehalten werden. Das ist wichtig, damit die Unterschiede nicht einfach nur auf unterschiedliche Lebenserfahrungen zurückzuführen sind. Acht Timberwölfe und fünf Mischlingshunde nahmen teil.
Massimo: Und wie lief der Test ab?
Petra: Die Tiere standen vor einem Zaun, hinter dem eine Trainerin saß. Vor dem Tier, aber hinter dem Zaun, gab es eine Apparatur mit zwei verschiebbaren Platten. Die Trainerin zeigte dem Tier zuerst beide Belohnungen: das Trockenfutter (die geringwertige Belohnung) und Wurst oder Fleisch (die hochwertige Belohnung). Dann legte sie das Trockenfutter auf eine Platte und schob sie so nach vorne, dass das Tier es hätte fressen können. Die hochwertige Belohnung behielt sie sichtbar in der Hand.
Massimo: Jetzt kam der knifflige Teil…
Petra: Genau. Das Tier musste nun warten – und zwar eine vorher festgelegte Zeit. Die Wartezeit wurde über verschiedene Testrunden hinweg immer länger, von zwei Sekunden bis zu fast drei Minuten. Wenn das Tier das Trockenfutter während der Wartezeit nicht gefressen hat, durfte es am Ende die Platte mit dem Trockenfutter zurückschieben und bekam dafür die Platte mit der hochwertigen Belohnung von der Trainerin. Wenn es das Trockenfutter aber doch gefressen hat, war die Runde vorbei, und die tolle Belohnung wurde weggepackt.
Massimo: Okay, das Prinzip ist klar. Was kam heraus? Haben die Domestikations-Hypothesen recht behalten?
Petra: Eindeutig ja – zumindest auf den ersten Blick! Die Hunde haben die Wölfe klar übertroffen. Im Durchschnitt warteten die Hunde beeindruckende sechsundsechzig Sekunden auf die bessere Belohnung, während die Wölfe im Schnitt nur vierundzwanzig Sekunden durchhielten. Alle Hunde schafften es, mindestens fünfundvierzig Sekunden zu warten, während die meisten Wölfe schon bei Verzögerungen über zwanzig oder fünfundzwanzig Sekunden ausstiegen.
Massimo: Wow, das ist ein deutlicher Unterschied! Hat es denn eine Rolle gespielt, ob die bessere Belohnung Wurst oder Fleisch war? Vielleicht mögen Wölfe ja lieber Fleisch?
Petra: Interessanterweise nicht. Die Art der hochwertigen Belohnung hatte keinen signifikanten Einfluss darauf, wie lange die Tiere warteten, weder bei den Hunden noch bei den Wölfen. Beide Belohnungen waren offenbar attraktiv genug im Vergleich zum Trockenfutter.
Massimo: Das Ergebnis scheint also klar: Hunde sind geduldiger als Wölfe, wenn ein Mensch dabei ist. Aber die Forscher betiteln ihre Studie ja mit „… but why?“, also „… aber warum?“. Das deutet darauf hin, dass die Sache vielleicht doch nicht so einfach ist?
Petra: Genau das ist der Punkt. Die Forscherinnen diskutieren mehrere mögliche Erklärungen für diesen Unterschied, und es ist wahrscheinlich eine Mischung aus verschiedenen Faktoren.
Massimo: Welche Faktoren könnten das sein?
Petra: Erstens: Die soziale Komponente. Der Test wurde ja von einem Menschen durchgeführt, der dem Tier direkt gegenübersaß. Es könnte sein, dass die Hunde die Situation eher als eine Art Gehorsamsübung wahrgenommen haben. Hunde sind generell oft unterwürfiger oder zumindest kooperativer gegenüber Menschen als Wölfe. Diese stärkere soziale Hemmung durch den Menschen könnte dazu geführt haben, dass die Hunde länger gewartet haben – nicht unbedingt, weil sie mehr Selbst-Kontrolle haben, sondern weil sie stärker sozial kontrolliert oder gehemmt waren. In anderen Studien, wo die Aufgabenstellung weniger sozial war oder die Tiere mit Artgenossen kooperieren mussten, schnitten Wölfe nämlich oft gleich gut oder sogar besser ab als Hunde.
Massimo: Das ist ein wichtiger Einwand. Es ist also nicht klar, ob es wirklich um reine Selbstkontrolle geht oder eher um die Reaktion auf den anwesenden Menschen. Was gibt es noch für Erklärungen?
Petra: Ja, da war noch zweitens: Das Aktivitätslevel. Wölfe waren während der Wartezeit deutlich aktiver als die Hunde – sie bewegten sich mehr. Diese höhere Aktivität könnte es ihnen schwerer gemacht haben, stillzusitzen und abzuwarten. Bei den Hunden war es umgekehrt: Diejenigen, die sich weniger bewegten, waren erfolgreicher im Warten, zumindest bei kürzeren Wartezeiten. Und genau diese – geringere Aktivität der Hunde – könnte aber wiederum, auch mit der sozialen Hemmung zusammenhängen.
Massimo: Also, die Anwesenheit des Menschen könnte die Hunde ruhiger gemacht haben, was ihnen beim Warten half, während die Wölfe aktiver blieben. Gab es Unterschiede, wie die Tiere versucht haben, sich abzulenken?
Petra: Ja, auch da gab es interessante Beobachtungen. Beide Arten nutzten Strategien wie das Wegschauen von der Belohnung, um sich abzulenken – etwas, das man auch bei Kindern oder anderen Tieren wie Schimpansen sieht. Die Wölfe wechselten aber häufiger ihren Blick zwischen der geringwertigen und der hochwertigen Belohnung hin und her. Das könnte darauf hindeuten, dass sie die Situation wirklich sehr genau beobachtet haben.
Massimo: Und dann gab es ja noch diese speziellen „Motivationstests“…
Petra: Richtig. Um sicherzugehen, dass die Tiere überhaupt motiviert waren, mitzumachen, gab es zwischendurch immer wieder sehr einfache Runden mit nur zwei Sekunden Wartezeit. Und hier zeigte sich ein weiteres interessantes Muster: Die Wölfe waren selbst in diesen einfachen Runden insgesamt weniger erfolgreich als die Hunde. Aber: Die Leistung der Wölfe in diesen Motivationstests brach nicht ein, als die Wartezeiten in den eigentlichen Testrunden immer länger wurden. Bei den Hunden war das anders: Als die Wartezeiten in den Testrunden anstiegen und die Hunde dort weniger erfolgreich waren, wurden sie auch in den einfachen Motivationstests schlechter.
Massimo: Das ist ja seltsam. Was könnte das bedeuten?
Petra: Die Forscher schlagen zwei Hauptinterpretationen vor: Entweder waren die Wölfe von Anfang an einfach weniger motiviert als die Hunde, was ihre generell schlechtere Leistung erklären würde. Oder – und das ist spannend – die Wölfe haben die Aufgabe vielleicht besser verstanden als die Hunde. Sie könnten gelernt haben, zwischen den einfachen „Motivationstrials“ – also kurz warten lohnt sich – und den schwierigen „Delay Trials“ – also langes Warten lohnt sich vielleicht nicht – zu unterscheiden. Wenn das stimmt, hätten die Wölfe vielleicht eine für sie vorteilhaftere Strategie gewählt: Sie holen sich die sicheren Belohnungen in den einfachen Runden ab und vermeiden die Frustration des langen Wartens in den schwierigen Runden. Das würde dann wie schlechtere Selbstkontrolle aussehen, wäre aber eigentlich eine clevere Anpassung an die Aufgabe.
Massimo: Faszinierend! Das Ergebnis – Hunde warten länger – ist also klar, aber die Interpretation ist vielschichtig. Es könnte an echter, durch Domestikation geförderter Selbstkontrolle liegen, stark beeinflusst durch die soziale Hemmung im Beisein des Menschen. Es könnten aber auch Unterschiede im Aktivitätslevel oder sogar ein unterschiedliches Verständnis der Aufgabe eine Rolle spielen.
Petra: Genau. Die Studie zeigt eindrücklich, dass Hunde in dieser spezifischen Situation mit einem anwesenden Menschen länger warten können als Wölfe. Aber sie macht auch deutlich, dass wir vorsichtig sein müssen, das sofort als generell überlegene Selbstkontrolle zu interpretieren. Es braucht wohl weitere Forschung, vielleicht in Situationen ohne direkte menschliche Interaktion, um das noch genauer zu verstehen.
Massimo: Ein tolles Beispiel dafür, wie komplex Tierverhalten ist und wie wichtig es ist, genau hinzuschauen und verschiedene Erklärungen zu prüfen. Und es zeigt mal wieder, wie spannend die Forschung an Hunden und Wölfen ist!
Petra: Absolut. Und für uns Hundehalter ist es vielleicht auch eine Erinnerung daran, dass Geduld für unsere Vierbeiner eine echte Herausforderung sein kann – und dass sie vielleicht manchmal ganz eigene, clevere Strategien entwickeln, damit umzugehen.
Massimo: Ein schönes Schlusswort. Damit sind wir am Ende unserer heutigen Folge von „art gehört“. Wir hoffen, es hat euch gefallen und ihr konntet etwas Neues über die faszinierende Welt unserer Hunde und ihrer wilden Verwandten lernen.
Petra: Wenn ihr mehr über unsere Arbeit erfahren wollt, besucht uns auf der Webseite von LebensArt Mensch Tier Natur. Wir freuen uns, wenn ihr auch das nächste Mal wieder dabei seid!
Massimo: Bis dahin, macht’s gut und bleibt neugierig!